Wenn der Blutdruck beim Arzt verrückt spielt
Falls es dir peinlich ist, dass du unter psychosomatischen Beschwerden leidest, dann schau dir bitte dieses Beispiel bitte an.
Ich hoffe, du erkennst, dass es gar nicht so ungewöhnlich ist.
Was bedeuetet „Weißkittelsyndrom“?
„Weißkittelsyndrom“ oder „Weißkittelhypertonie“ ist ein Ausdruck für jemanden, der hohen Blutdruck hat, wenn er beim Arzt ist, sonst aber nicht.
Wobei das natürlich nicht direkt offensichtlich ist, denn wenn beim Arzt der Blutdruck gemessen wird und sie merken: oh, der ist aber hoch, dann können sie nicht wissen, ob das jetzt am Arztbesuch liegt oder ob er generell zu hoch ist.
Dass es einen Namen dafür gibt - manchmal wird es auch Arzt-Phobie genannt - macht es für viele zu etwas „Echtem“.
Es wird greifbar.
Nachvollziehbarer.
Dieses Label hilft vielen, sich damit besser zu fühlen, weil man nicht nur „das ist psychosomatisch“ hört, sondern eine Diagnose dafür bekommt.
Schon fühlt man sich besser, weil man „etwas hat“.
Es ist nicht mehr ganz so peinlich.
Was geht beim Weißkittelsyndrom denn vor sich?
Jemand ist beim Arzt und macht sich viele Gedanken.
Er hat Angst vor dem, was der Arzt herausfinden könnte oder macht sich zumindest Sorgen darüber. Er ist nervös. Im Kopf rattert das Gedankenkarussell und er kann sich nicht konzentrieren.
Die Zeitschrift im Wartezimmer blättert er zwar durch, bekommt aber nichts von dem mit, was darin steht.
Was ist, wenn … ?
Diese Frage geht ihm in verschiedenen Varianten durch den Kopf.
Die Fragen drehen sich meist um Katastrophen und Worst-Case-Szenarien.
Diese Grafik erklärt auch, warum die zweite Blutdruckmessung manchmal noch höher ist:
Der Patient erfährt, dass der Blutdruck zu hoch ist, sieht vielleicht noch den besorgten Blick vom Arzt oder Arzthelfer und macht sich direkt noch mehr Sorgen (Was ist da los? Was stimmt nicht mit mir? Was bedeutet das? Was habe ich bloß? Ist das etwas Schlimmes? Meine Mutter hatte doch auch xy …)
Diese Sorgen-Gedanken führen dazu, dass der Blutdruck noch mehr steigt.
Oft sind die Gedanken auch gar nicht so präsent, sondern laufen eher unbewusst ab.
Wir spüren zwar, dass wir angespannt sind, aber dass diese Anspannung unseren Blutdruck verrückt spielen lässt, ist uns nicht klar.
Fragt uns der Arzt, ob wir aufgeregt sind, verneinen wir das.
Was es dann schwieriger macht, herauszufinden, ob die Hypertonie nur in der Praxis vorkommt oder generell auftritt.
Aber das lässt sich natürlich durch weitere Tests herausfinden.
Manchmal reicht es schon, den weißen Arztkittel zu sehen, damit der Blutdruck in die Höhe schießt.
So ist das Syndrom sicher auch zu seinem Namen gekommen.
Wobei das auch nicht ganz stimmt, denn auf einen weißen Kittel eines Schlachters oder Blumenverkäufers reagiert der Patient ja nicht.
Die Reaktion beginnt, wenn der Patient den Kittel mit einem Arzt verbindet.
Wenn er „sich Gedanken macht“.
Und dafür brauchen wir nicht mal einen „echten“ Arztkittel oder eine „echte“ Praxis, sondern es reicht schon, wenn wir uns vorstellen, zum Arzt zu gehen.
Die Vorgänge in uns sind dabei identisch.
Egal, ob wir wirklich zu einem Doktor gehen oder nur daran denken:
Ich stelle mir vor, zum Arzt zu gehen
was ich darüber denke, was passieren könnte
übersetzt mein Körper, schüttet Hormone aus und bringt Prozesse in Gang
Resultat = hoher Blutdruck
In vielen Arztpraxen wurde die weiße Bekleidung inzwischen gegen farbige ausgetauscht.
Das allein wirkt sich oft schon auf den Blutdruck aus.
Faszinierend, oder?
Wie kann ich die Weißkittelhypertonie verhindern?
Was kann ich dagegen tun?
Obwohl viele Menschen wissen, dass ihr Blutdruck beim Arzt höher ist, als wenn sie ihn zu Hause messen, ändert sich die Situation nicht.
Sie sind einfach aufgeregt, wenn sie in der Arztpraxis sind.
Je weniger sie sich damit befassen, desto besser können sie meist damit umgehen.
Sie nehmen es nicht so wichtig und sprechen es direkt an, wenn sie zu einem neuen Arzt gehen, damit sie nicht versehentlich Medikamente verschrieben bekommen, die überhaupt nicht nötig sind.
Ja, vielleicht hätten sie es gerne anders, es nervt sie oder ist ihnen unangenehm, aber es ist auch nicht schlimm.
Das Gute für dich:
Wenn es schon einen Ausdruck dafür gibt, dann wirst du nicht der Einzige sein, dem es so geht.
Mit dem Gedanken: "das geht nur mir so" machen wir uns das Leben oft unnötig schwer(er). Und er stimmt eigentlich nie.
Was bringt dich auf andere Gedanken?
Wie gelingt es dir, abzuschalten?
Wobei entspannst du dich?
Wie wäre es, im Alltag generell, „mehr davon“ zu machen und so Stress abzubauen?
Momentan ist es eben so, dass du beim Arzt - bewusst oder nicht - Gedanken hast, die Stress erzeugen und auf die dein Körper entsprechend reagiert.
Wenn du versuchst, zu verhindern, dass du dich aufregst, dann sorgst du damit für noch mehr Lärm in deinem Kopf, in dem vorher schon genug los war.
Je lauter und chaotischer es im Kopf ist, desto mehr reagiert unser Körper darauf.
Was, wenn du es gar nicht verhindern musst?
Wenn es okay ist, dass du so reagierst?
… und vielleicht wird es von selbst besser, je weniger wichtig es dir ist.
(denn desto weniger Gedanken machst du dir darüber und desto mehr Ruhe kann in deinem Kopf einkehren).
Falls es dir peinlich ist, dass man dir das Label „psychosomatisch“ verpasst hat, dann erinnere dich bitte daran, dass es nichts anderes ist, als ich hier beim Weißkittelsyndrom beschrieben habe.
Das Prinzip dahinter ist das Gleiche.
Dein Körper „übersetzt“ deine Gedanken in Emotionen und Symptome.
Unabhängig davon, ob es um Bauchschmerzen, Rückenschmerzen, hohen Blutdruck oder etwas anderes geht.
Psychosomatik = ein körperlicher Ausdruck der Innenwelt.
Nicht mehr, und nicht weniger.
Was hast du für dich mitgenommen?
Ich freue mich auf deinen Kommentar