Wie wird man zu einem Hypochonder und wie wird man das wieder los?

Du bist aber auch ein Hypochonder …

Vielleicht hast du das auch schon mal über jemanden gedacht oder sogar genervt zu jemandem gesagt.

Was ist da überhaupt los?

Was steckt hinter dem Label „Hypochonder“?

Wie wird man zu einem Hypochonder und wie kommt man da wieder raus?

Du gehst zum Arzt, weil du Beschwerden hast, wie z.B. Bauchschmerzen. Der Arzt untersucht dich, findet aber nichts.
Nichts heißt in diesem Fall, dass er keine körperliche Ursache gefunden hat und nicht, dass dir nichts weh tut!

Du machst dir Sorgen, die Schmerzen treten häufiger auf oder werden schlimmer. Du gehst damit zum nächsten Arzt.
Neue Untersuchung, gleiches Ergebnis.

Du machst dir noch mehr Sorgen, was beide Ärzte übersehen haben könnten. Es kann ja nicht sein, dass da „nichts“ ist.
Du spürst es ja. Deutlicher, als dir lieb ist.

Und schon bist du mittendrin - im Doctor-Hopping und im Sorgen-Strudel.

Zwischendrin zweifelst du an dir und deiner Wahrnehmung. Fragst dich, ob du noch „ganz richtig im Kopf“ bist.

Das erzeugt noch mehr Stress.
… und bei Stress nehmen wir körperliche Symptome sehr oft stärker wahr.

Was dich noch tiefer in den Sorgen-Strudel zieht.

Du verstehst die Lücke, zwischen „da ist nichts“ und „ich fühle mich miserabel“ einfach nicht.
Wie kann es sein, dass man nichts findet, wo es dir doch so offensichtlich schlecht geht?
Da stimmt doch was nicht!

Wenn dir das bekannt vorkommt, dann lies unbedingt weiter!

Vielleicht (hoffentlich) erkennst du die Logik dahinter, denn das ist der Schlüssel, um aus diesem Dilemma wieder rauszukommen.

Woher kommt der Begriff überhaupt und was bedeutet er?

Die ursprüngliche Wortschöpfung erfolgte durch Galenos: Der Begriff hängt mit dem griechischen Begriff χόνδρος chondros für „Knorpel“ zusammen. Man ging davon aus, dass die Milz, humoralpathologisch das Hauptorgan für die „Schwarze Galle“, für diese Art von Beschwerden verantwortlich sei, weshalb die Hypochondrie vormals „Milzsucht“ genannt wurde.
(Quelle Wikipedia)

Aber was meinen wir landläufig damit, wenn wir jemanden einen Hypochonder nennen?

Wir meinen es selten als Kompliment, wenn wir jemanden Hypochonder nennen, sondern es ist oft auch ein Synonym für „Jammerlappen“, „stell dich nicht so an“, „Simulant“, „du übertreibst maßlos“, „deine Probleme hätte ich gerne“, usw.

Bei Wikipedia habe ich diese Beschreibung gefunden:

Hypochonder wird auch als abfällige Bezeichnung eines wehleidigen oder um seine Gesundheit besorgten Menschen bezeichnet, der vermehrt auf Veränderungen von Körperfunktionen achtet und auch geringfügige Körpersignale als möglichen Ausdruck schwerer Erkrankungen interpretiert. Man spricht laienhaft auch von einer eingebildeten Krankheit (siehe Molière, Der eingebildete Kranke). Dies ist vor allem in Hinblick auf von echter, klinischer Hypochondrie Betroffene problematisch, da diese Menschen nicht wehleidig, sondern schwer psychisch erkrankt sind und mitunter auch erheblich belastende Symptome verspüren können.
(Quelle Wikipedia)

Einem Großteil stimme ich zu, aber ich möchte auch vehement widersprechen.

Spoiler:
Uns ist meist nicht bewusst, dass wir das Prinzip eines Hypochonders selbst auch anwenden, aber dazu weiter unten mehr.

Beim Punkt „schwer psychisch erkrankt“ möchte ich deutlich widersprechen!

Interpretiert jemand etwas für sich dramatischer, als es für alle anderen aussieht oder ist es eine „psychische Krankheit“?
Was denn nun?
 
Oder soll gar aus der „lebendigen Interpretation“ eine Krankheit gemacht werden? 😳

Was wäre, wenn ein Label wie „psychisch krank“ oder „somatoforme Störung“ die Symptome sogar noch festigt und zementiert?
Denn damit gibt man ihnen ja noch mehr Gewicht - auch wenn bzw. obwohl man davon überzeugt ist, dass sie „eingebildet“ sind …

Schon irgendwie schräg, oder? Für mich ergibt das keinen Sinn.

Wie jeder von uns das „Prinzip Hypochonder“ - in unterschiedlichem Ausmaß - selbst anwendet, möchte ich mit dieser kleinen Geschichte verdeutlichen.

Stell dir vor, du wachst morgens auf und deine Arme tun dir weh.
Bei jeder Bewegung kommen dir Fragen wie diese in den Sinn: sag mal … was soll das denn? Was ist da los? Warum tun mir die Arme so weh?

Du machst mit deinem normalen Tagesablauf weiter.

Inzwischen bist du seit zwei Stunden auf den Beinen und fängst langsam an, dir wirklich Sorgen zu machen. Gestern war es doch noch nicht so! Was steckt dahinter? Die Arme tun echt ganz schön weh. Dieses Ziehen ist nicht lustig.

Du merkst, dass dieser Gedanke nicht aus deinem Kopf will.
… und wenn er tatsächlich gerade mal weg war, bewegst du dich und schwupps sind die Schmerzen und Sorgen wieder da.
Was weiß ich schon? Es könnte ja wirklich etwas sein, das ich abklären lassen sollte.

Und je mehr du drüber nachdenkst, desto mehr rücken die Schmerzen in den Vordergrund.
Vielleicht werden sie sogar stärker.
Was dann dazu führt, dass du dir noch mehr Sorgen machst.

Gegen Mittag sprichst du mit jemandem darüber, wie sehr deine Arme weh tun.

Diese Person erinnert das sofort an ein langes Martyrium, das ihre beste Freundin gerade erlebt hat. Sie erzählt dir diese Geschichte mit vielen, lebendigen Details, bei der es auch „plötzlich mit harmlosen Schmerzen“ anfing und dann, nach einer scheinbar endlosen Odyssee von Arztbesuchen, ganz böse endete.

Am Ende der Horrorgeschichte fügt sie noch ein: aber bei dir wird es bestimmt etwas ganz anderes sein an, doch du bist schon längst davon überzeugt, dass es bei dir vermutlich ähnlich laufen wird.
Außerdem musstest du gerade an den Cousin deiner Mutter denken. Gab’s da nicht eine ähnliche Geschichte?

Als dein Partner abends nach Hause kommt, merkt er direkt, dass etwas mit dir nicht stimmt. Auf die Frage: was ist denn los? brichst du in Tränen aus und erzählst von deinem Arm, den Schmerzen und ein bisschen von deiner Vermutung (die für dich eigentlich schon viel mehr als eine Vermutung ist!), was das sein könnte.

Dein Partner guckt dich überrascht an und fragt: Hast du nicht gestern die ganzen Kartons aus dem Keller getragen und dann im Abstellraum oben ins Regal gestellt?

Dir weicht alle Farbe aus dem Gesicht! Klar! Wie konntest du das vergessen? Natürlich! Gestern hast du viele schwere Kartons geschleppt und dann noch oben ins Regal gewuchtet. Kein Wunder, dass die Arme weh tun. Diese Art von Bewegung bist du nicht gewohnt. Du hast einfach Muskelkater.

Dein Partner lacht und sagt: Mir würden auch die Arme weh tun, wenn ich das gemacht hätte.
Dir wird klar, wie du dich den ganzen Tag selbst in Panik versetzt hast und musst mitlachen.

Die Schmerzen in den Armen sind plötzlich gar nicht mehr so wichtig und stark.  
Dir ist klar: Das ist Muskelkater und ich brauche mir keine Sorgen mehr darum zu machen. Der verschwindet bald von selbst wieder.

Diese Geschichte ist eventuell ein kleines bisschen übertrieben, aber vielleicht hast du dich trotzdem darin erkannt.

Es kann sein, dass es bei dir nicht das Thema Gesundheit ist, sondern eher Beziehungen, Job, Familie, Finanzen, …

Es ist so leicht, sich Sorgen zu machen.

Und wenn dir selbst nicht auffällt, was du gerade machst, dann gerätst du blitzschnell in eine Spirale aus noch mehr Sorgen.

Je schlimmer du dir eine Situation denkst, desto „logischer“ erscheint es, sich Sorgen zu machen.

Das bedeutet:
noch mehr Gedanken darüber
▶ die Situation sieht noch schlimmer aus
▶ noch mehr Sorgen
▶ noch mehr Gedanken
▶ noch schlimmeres Szenario
▶ noch mehr Sorgen
▶ ...

Du erkennst das Schlamassel, oder?!

Wenn wir uns gerade sehr viele Sorgen machen, dann ist unser Kopf voll davon.
Das führt dazu, dass wir nicht wirklich „klar denken“ können. Der Kopf ist zugemüllt mit Sorgen-Gedanken.

Daher fällt uns auch nicht ein, dass wir gestern Kartons geschleppt haben und es „einfach Muskelkater“ ist.
Wir sehen den Schlüssel nicht, der direkt vor uns auf dem Tisch liegt.
Wir suchen das Handy, das wir in der Hand haben.

Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, weil es schon so voll im Kopf ist.

Ein Hypochonder ist darin ein „Meister seines Faches“.

Jemand mit Gesundheitsangst ist ein Meister im Sorgen-Machen über den Körper, die Beschwerden, Symptome und was sie bedeuten.

Die reinsten Medizin-Thriller oder auch Medizin-Horrorfilme entstehen in seinem Kopf.
Nur ist ihm das (meist) nicht bewusst.
Er ist mittendrin und erlebt sie.
Ist Protagonist in diesem Film.
Tagtäglich.
In Dauerschleife.
Er spielt die Hauptrolle in seinem Medizin-Horrorfilm.
Samt allen Symptomen, Schmerzen und Beschwerden.
Er ist kein Simulant.
Alles sieht echt aus.
Und fühlt sich echt an.

So wie in der Geschichte die Schmerzen oder Symptome schlimmer wurden, so erlebt es ein Hypochonder auch.
Es wird sein Alltag.

Und es ist total logisch und erklärbar.

Wenn wir uns auf etwas fokussieren, nehmen wir es bewusster wahr und erleben dadurch manchmal auch „mehr“ davon.

Dazu kommt, dass wir dieses „mehr“ oft auch mit „schlimm“ bewerten.
▶ noch mehr Fokus
▶ noch mehr Wahrnehmung  
▶ noch mehr Bewertung
▶ noch mehr Fokus
▶ ... 

Denk an ein Lied, das du überhaupt nicht magst.

Es kann sein, dass das Radio den ganzen Tag im Hintergrund dudelt, ohne dass du auch nur ein Lied wirklich mitbekommst, aber wehe, dieses Lied wird gespielt … das hörst du plötzlich.
 
Dein Bewusstsein dafür ist geschärft.

Dieses Prinzip wirkt überall.

Bewusstsein geschärft = mehr davon wahrnehmen bzw. bemerken.

Wenn du schwanger bist, siehst du plötzlich überall Werbung für Babynahrung, Windeln & Co.
Du hast ein anderes Auto gekauft und plötzlich scheinen „alle“ nur noch dieses Modell zu fahren.
Du möchtest weniger naschen? Vermutlich hast du noch nie zuvor so viel Werbung für Schokolade und Knabberkram gesehen.

Wenn unser Bewusstsein für bestimmte Beschwerden oder Gefahren oder Symptome (oder generell den Körper) geschärft ist, dann haben wir sie automagisch mehr im Fokus.

Das gilt natürlich auch in die andere Richtung!

Wenn wir unser Bewusstsein in Bezug auf Freude, lachen, Glück, Dankbarkeit, Wohlbefinden usw. schärfen, bemerken wir das häufiger.

Wenn du glaubst, du bist ein Hypochonder:

Kannst du erkennen, wie du dich selbst (ohne es zu merken oder zu wollen - absichtlich würdest du das nicht machen, denn du bist ja nicht blöd) in Horrorgeschichten manövrierst?

Ja? Das ist gut! Vielleicht fällt es dir beim nächsten Mal schon auf, bevor du schon mitten in der Geschichte steckst. Und wenn es dir auffällt, hörst du „einfach“ damit auf.

Nein? Das ist auch nicht schlimm. Es reicht schon, wenn du es für möglich hältst, dass da was dran sein könnte. Dann werden vermutlich Erinnerungen aufploppen, bei denen du reflektieren kannst: oh, war das wirklich so? Habe ich das da gemacht? Vielleicht wird es da dann für dich klar.
Oder du erkennst das Prinzip in anderen Lebensbereichen.

Es bei dir und für dich zu erkennen, macht den Unterschied aus.
Wir können auch gerne mal schnacken, wenn du jemanden brauchst, der mit dir zusammen von außen draufguckt.
Oder mach mein Quiz "weniger leiden, mehr leben"  für eine neue Perspektive.

Egal, wie lange du dieses Label schon mit dir rumträgst - du bist unkaputtbar

Und kein hoffnungsloser Fall.
Deine Situation kann sich ändern!

Was, wenn „Hypochondrie“ keine Krankheit, sondern „nur“ das Resultat einer ausgeprägten Fantasie ist?
Was, wenn wir einfach aufhören, so negativ darüber zu sprechen?
Wie wäre es, wenn wir die Fähigkeit, die dahinter steckt, (man muss sich seeeeeeehr ausdauernd mit etwas beschäftigen) anerkennen?
Wie wäre es, zu erkennen, dass jeder von uns das auch macht - wenn vermutlich auch in einem anderen Ausmaß - und es gar nichts Besonderes, sondern Teil des Menschseins ist?
Was würde das für dich verändern?

Schreib mir doch im Kommentar, was du für dich mitgenommen hast.

  • Ich habe mich sehr darin wieder erkannt. Herrlich die Geschichte mit den Armen… tausendmal erlebt 🙂 Und das ist auch der Grund, warum ich doch immer mal wieder Krankheiten google. Obwohl man das ja als „Hypochonder“ nicht soll. Aber ich suche mir tatsächlich dann nicht die schlimmste Version heraus, sondern die harmloseste. Und erzähle mir dann, dass ich nur das habe…. und dann gehts wieder besser und die Symptome verschwinden. Besser als den ganzen Tag zu grübleln, welchen Krebs oder tödliche Krankheit man nun schon wieder hat.

    • Liebe Monique,
      wie schön, dass du dich erkannt hast. Das ist der erste „Schritt“ zur Veränderung. Solange es uns nicht auffällt, sind wir im „alten Trott“ gefangen und können nichts ändern.
      So, wie du googelst, klingt das sehr weise!
      Man könnte auch direkt nach „xy überwinden“ oder „xy heilen“ suchen und findet dann Ergebnisse für einen positiven Ausgang, der auch möglich ist.

      Ich stimme dir total zu: so zu recherchieren ist viel besser, als dir den ganzen Tag Sorgen zu machen. Das ist ja quasi deine „grübeln-stoppen-Lösung“. 😉
      In dieser Folge haben Alexandra Rosit-Hering und ich über „die innere Google-Suche“ gesprochen. Vielleicht magst du dort auch mal reinhören.

      https://www.allesganzanders.de/folge-40/

      Liebe Grüße
      Michaela

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