Warum wirkt Konfrontationstherapie manchmal nicht?

Wie du vielleicht weißt, begleiten Ängste mich quasi schon mein Leben lang. Und ich kann nicht mehr zählen, wie viele verschiedene Therapien, Tools und Techniken ich im Laufe der letzten 40+ Jahre gemacht, ausprobiert bzw. angewendet habe.

Eine davon war Konfrontationstherapie bzw. Expositionstherapie, die ich im Rahmen der Verhaltenstherapie immer wieder machen musste.
Und die mir leider nicht geholfen hat.

In letzter Zeit ist mir klar geworden, woran das lag.

Eine der Konfrontationen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist die „Besteigung“ eines Kirchturms mit dem Ziel, Höhenangst (die wohl offiziell Fallangst heißt) zu überwinden.

Höhe ist nicht wirklich meins und ich weiß, dass ich schon als kleines Kind damit Probleme hatte. Mein Bruder erinnert sich bestimmt noch an ein Fotoshooting, bei dem ich ein paar Stufen (!) auf eine Leiter steigen sollte. Was für ein Drama… In die Kamera lächeln konnte ich nicht mehr. Dafür hatte ich „da oben“ (auf der 2. Sprosse) einfach zu viel Angst.

Damit ich endlich besser mit Höhe umgehen kann, habe ich mich auf die Konfrontationstherapie eingelassen – auch wenn mir schon beim Gedanken daran, den Kirchturm hochzukraxeln, der Arsch auf Grundeis ging…

Das Ziel war: ich gehe – begleitet von einer Therapeutin – in den Kirchturm. Stück für Stück. Sobald ich mich an die Angst gewöhnt habe, gehe ich ein paar Schritte weiter. Warte, bis die Angst wieder weniger wird. Gehe noch ein paar Schritte. Merke zwischendrin immer: es passiert mir nichts. Alles ist gut. Am Ende der Exposition bin ich (relativ weit) oben im Kirchturm und genieße im besten Fall die Aussicht.

Soweit zumindest die Theorie.

In der Praxis sah es so aus, dass die Angst nicht wirklich besser wurde.

Ich stand auf der Treppe und hatte das Gefühl, da wäre ein Erdbeben.
Ich hatte Panik.
Todesangst.
Alles wackelte.

Ich habe mich am Geländer festgekrallt und gehofft, die Angst würde nachlassen.

Es gab immer mal Momente, in denen ich zumindest etwas durchatmen konnte. Gefühlt hat die Angst in diesen Momenten nur Luft geholt, um danach mit noch mehr Wucht zurückzukommen.

Innerlich war ich wie erstarrt.
Äußerlich zitterte ich am ganzen Körper – was natürlich das „Erdbeben-Gefühl“ noch verstärkt hat.

Kennst du noch diese Klemmfiguren aus den 1980 Jahren? So ähnlich fühlte ich mich. Wie ans Geländer geklemmt.
Es war der reinste Horror.

Meine Gedanken waren etwas wie:

  • Warum habe ich mich drauf eingelassen?
  • Warum wird die Angst nicht weniger?
  • Ich will hier weg!
  • Ich muss hier weg.
  • Ich halte das nicht mehr aus.
  • Ich falle hier runter.
  • Es zieht mich nach unten.
  • Hier muss ein Erdbeben sein.
  • Die Treppe/Leiter wackelt.
  • Ich dreh durch.
  • Ich will das nicht mehr.
  • Die Angst soll weggehen.
  • Mein Herz rast wie wild.
  • Mir ist schwindelig.
  • Gleich kippe ich um und falle die Treppe runter.
  • Wenn ich nicht mehr alleine runterkomme – wie lange soll/muss/kann ich hier ausharren?
  • Wie soll die Feuerwehr mich hier runterholen?
  • Es ist so eng hier.
  • Die Treppe ist steil.
  • Das ist so hoch!
  • Ich bin gerade erst angefangen.
  • Wie lange dauert es wohl, bis die Angst weg ist?
  • Ich kann nicht mehr.
  • Ich sterbe gleich.
  • Das soll aufhören.
  • Warum wackelt das so?
  • Warum mache ich so ein Drama daraus?
  • Für andere Leute ist das normal – was stimmt nicht mit mir?
  • Ich bin so blöd.
  • Das ist so peinlich.
  • Ich bin peinlich.
  • Das soll endlich besser werden.
  • Ich möchte mich besser fühlen.
  • Ich will das so nicht mehr.
  • War klar, dass das auch nicht hilft
  • Bei mir ist immer alles anders.
  • Ich kriege keine Luft mehr.
  • Meine Hände sind so feucht… ich kann mich nicht mehr festhalten.
  • Wann hat das ein Ende?
  • ...

In welcher Geschwindigkeit du diese Gedanken auch immer gelesen hast – es war zu langsam.

Viel zu langsam.
In meinem Kopf rasten diese und ähnliche Gedanken.
Die ganze Zeit über.
In einer Geschwindigkeit, von der einem schwindelig werden kann.
Sie haben sich quasi überschlagen.
Immer und immer wieder.

Zu den Gedanken waren natürlich auch noch die ganzen „typischen“ körperlichen Symptome da, die bei Ängsten auftreten (können).

Hier eine kleine Auswahl:

Herzrasen, Schweißausbrüche, Schwindel, feuchte Hände, schwer atmen können, innere Unruhe, inneres Zittern, Übelkeit, Blut in den Ohren rauschen hören, mulmiges Gefühl im Magen, zittrige Hände, geschärfte Sinne, dadurch z.B. besser riechen können (gerne den eigenen Angstschweiß…), Kloß im Hals, usw.

Die ganze Zeit über habe ich mich entweder auf die Körpersymptome oder die Katastrophengedanken konzentriert.

Die Therapeutin war zwar da – mir aber mit ihrem: Sie merken doch: Ihnen passiert nichts – keine wirkliche Hilfe.

Mir war klar: sie hat keine Ahnung davon, wie es mir geht.
Sonst würde sie das nicht sagen.
Sonst könnte sie das nicht sagen.
Sie hat keine Ahnung von dem, was ich gerade durchmache.

Ich hätte sie an die Wand klatschen können, aber ich brauchte ja beide Hände, um mich am Geländer festzuhalten.

Dass noch eine Konfirmandengruppe an diesem Tag ebenfalls den Kirchturm besteigen wollte, hat es nicht besser gemacht. Ich blockierte quasi den Weg und musste mich an einer Seite festhalten, damit sich die Konfirmanden an mir vorbeiquetschten konnten.

Ich klemmte wie ein Häufchen Elend, in Tränen aufgelöst am Geländer und sah die Jungs und Mädchen locker an mir vorbei gehen.
Natürlich fanden sie es total lustig, mich so zu sehen. (was ich ihnen nicht verdenken kann)

Also kamen zu meinen ohnehin schon vielen Gedanken noch weitere hinzu:

  • Das ist sooo peinlich.
  • Ich schäme mich so.
  • Wie kann es sein, dass die gerade heute hier hochgehen?
  • Ich bin stinksauer.
  • Wer hat die reingelassen?
  • Das werden sie weitererzählen
  • Bald weiß jeder, wie bescheuert ich mich hier anstelle
  • Ich muss wegziehen – aber wohin?
  • Ich bin so blöd.
  • Warum habe ich mich darauf eingelassen?
  • Ich bin peinlich.
  • Ich will nicht mehr.
  • Ich kann nicht mehr.
  • Ich sollte einfach loslassen und runterfallen.
  • Ich kann mich nirgendwo mehr sehen lassen
  • Was denken die von mir?
  • ...

Nachdem die Konfirmanden sich auf dem Rückweg wieder an mir vorbeigezwängt hatten, verbrachte ich noch eine Weile dort oben – in der Hoffnung, die Angst würde weniger werden.
Wurde sie aber nicht wirklich.

Aber ich war kaputt.
Körperlich ausgelaugt.
Fix und alle.
Kein Wunder.

Stell dir mal vor, du rennst stundenlang vor einem Tiger weg. (okay… das dauert wohl nicht mal eine Minute, aber du weiß, was ich meine)
Kein Wunder, dass das anstrengt.

Und in dem Fall, in dem du dich körperlich bewegst, hat dein Organismus ganz andere Möglichkeiten, die Stresshormone zu verarbeiten, als wenn du „eingefroren“ bist.

Irgendwann war die Konfrontation beendet – wenn auch nicht mit dem gewünschten Ergebnis.
Aber die Zeit war um.
Ich weiß nicht mehr wie, aber irgendwie bin ich die Treppen auch wieder runtergekommen.
Ohne Feuerwehr.

Das war gefühlt einer der längsten Tage meines Lebens...

Hat sich die Höhenangst durch die Expositionstherapie verbessert?

Nein, leider nicht.
Ich würde fast sagen, dass sie sogar größer wurde.
Durch solche Tage und die Übungen als Hausaufgabe.

Mit dem Verständnis von heute ist das auch kein Wunder, sondern logisch.

Warum hat die Konfrontationstherapie nicht geholfen?

Warum wurden die Ängste nicht weniger?

Ich habe die ganze Zeit über versucht, ein Feuer zu löschen, indem ich ihm Luft zugewedelt habe, anstatt ihm mit einer Löschdecke die Luft zu nehmen.

Natürlich ohne es zu wissen.

Mit jedem Gedanken ist ein Gefühl verbunden.

Je nachdem, wie lange ich mich mit ihm beschäftige, für wie wahr oder wichtig ich ihn halte, bzw. wie persönlich ich ihn nehme, bleibt das Gefühl länger oder kürzer. Bleibt oder geht. Wird es intensiver oder eben nicht.

In diesem Fall habe ich die ganzen Gedanken, die du hier liest, persönlich genommen (es sind ganz viele „ich-Gedanken“) und für wahr und wichtig gehalten.

Und indem ich das gemacht habe, habe ich dafür gesorgt, dem Feuer (der Angst) Luft zuzufächern. Es noch mehr anzuheizen.
Öl reinzugießen.

Was hätte ich anders machen können?

Nichts.
Weil ich es nicht besser wusste.

Ich kannte den Zusammenhang zwischen Gedanken und Gefühlen nicht.

Für mich stand nicht zur Debatte, dass die Gedanken keinen Wert haben könnten.
Mir war nicht bewusst, dass sie sich ständig ändern – oft sogar in das genaue Gegenteil. Und dass sie schon aus diesem Grund nicht „die Wahrheit“ sein können.

Was würde ich jemandem sagen, der in einer ähnlichen Situation ist?

Was kannst du tun?
Welchen Tipp habe ich?

Erkenne, dass es (deine) Gedanken sind, mit denen du die Angst am Leben hältst.
Das ist alles.

Wenn du bewusst versuchst, sie zu ändern, dann beschäftigst du dich ja weiterhin damit. Du bewertest sie als „falsch“. Und mit dieser Beschäftigung damit, fächerst du dem Feuer wieder Luft zu.

Es reicht wirklich, zu erkennen, dass die Angst mit den Gedanken verbunden ist.

Dass sie aus Gedanken besteht.
Daraus erschaffen wird.
Und dich daran zu erinnern, dass sich Gedanken verändern.
Und damit auch die Gefühle.
Immer.

Vermutlich gelingt es dir manchmal ganz gut.
Und dann wieder nicht und du kannst es überhaupt nicht erkennen.
Das ist normal.

Und je normaler das für dich ist, desto weniger du dich über deine „doofen Gedanken“ aufregst, desto schneller ändern sie sich wieder.
Und desto schneller fühlst du dich wieder besser.

In den letzten fast 30 Jahren habe ich eigentlich immer versucht, etwas zu ändern. Anders, besser, positiver zu denken.
Übungen zu machen.
Selbst dafür zu sorgen, dass ich mich besser fühle.

So habe ich es die Jahre über gelernt.
Immer und immer wieder.

Es war (und ist immer wieder) eine Herausforderung zu wissen, dass ich nichts machen kann.

Nichts, außer zu erkennen, woher die Angst kommt (von Gedanken).

Mit dem Erkennen ist das Gefühl nicht mehr so fest. So solide. Es hat keine „echte“ Substanz.

Das „Nichts“ ist die Lösung.

Es ist aber auch befreiend, nichts tun zu müssen.

„There’s always less to do than you think”.
Es gibt immer weniger zu tun, als du denkst.

Wenn es nichts zu tun gibt, bedeutet das im Umkehrschluss übrigens auch, dass ich nichts falsch machen kann.
Das ist doch großartig, oder?!

Hast du erkannt, wo du in deinem Leben das Feuer anfachst, das du eigentlich gerne löschen möchtest?

Ich freue mich auf deinen Kommentar.

  • Hallo Michaela,
    vielen Dank für den sehr persönlichen Beitrag.

    wie gut erkenne ich mich selbst in Deinem Beitrag wieder, auch wenn es bei mir nicht die Höhen- sondern Autofahrangst ist.
    Ich habe auch mit einer Verhaltenstherapie nur selbst erzwungene kurzfristige Erfolge erzielt und immer wieder gedacht dass die Therapeutin überhaupt kein Mitgefühl und keine Ahnung hat.

    Magst Du antworten, ob sich durch die 3 Prinzipien etwas an Deinen Ängsten geändert hat?

    • Hallo Sabine,

      was sich auf jeden Fall für mich verändert hat, ist, dass ich mich (meistens 😉) nicht mehr als Opfer der Angst fühle. Ich weiß, woher sie kommt und fühle mich ihr nicht mehr ausgeliefert.
      Ich weiß, dass sie keine Substanz hat.
      Das ändert oft nichts an meinem Empfinden und wenn ich „drin“ bin, fühlt es sich sooo echt an (die Körpersymptome sind ja auch da…).

      In den Momenten, wo ich wirklich sehe, wie ich mit den Gedanken dafür sorge, dass die Symptome stärker werden, geschieht es manchmal, dass ich mir fasziniert dabei zuschaue, was mein Körper aufgrund der Gedanken veranstaltet… Ich staune über das Wunderwerk Körper und die Symptome machen mir nichts aus.

      Wenn ich das in der Situation nicht sehen kann, dann weiß ich zwar vom Verstand her, dass Gedanken die Symptome verursachen – das hilft mir aber nicht weiter (ändert zumindest in der Situation nichts) und ich „gehe in den Symptomen unter“.

      Ich weiß aber nicht, ob ich das verständlich erklären konnte. 😉

      Liebe Grüße
      Michaela

  • Liebe Michaela, herzlichen Dank, fuer Deinen tollen Text. Ich denke, dass die Bewusstseins-Erweiterung immer wichtig ist. Alles Liebe Marianne Ute

  • Hi Michaela,

    danke für den Beitrag. Er war sehr erhellend.
    Ja, das kenne ich nur zu gut, diese Angst, die einem scheinbar alles nimmt. Man wie gelähmt ist und sich frägt, warum helfen mir denn diese positiven Gedanken nichts, warum komme ich denn mit dem Tapping nicht so wirklich weiter? Und unzähliges mehr.
    Bei dem Tiger musste ich grinsen: ich habe vor kurzem gelesen, dass wir ja bei der Angst in einen Kampf oder Flucht Modus gehen. Man kann es sich so vorstellen: wenn du vor der Angst flüchtest, ist es, wie wenn du einen Tiger im Wohnzimmer hast und versuchst, vor ihm wegzulaufen oder einfach die Augen zu schließen, in der Hoffnung, dass er dann weg ist. Bessere Strategie, sich davor hinzustellen, zu denken, hey Tiger, schön, dich mal wieder zu sehen, und weißt du was, es macht nichts, dass du da bist. Ich sehe dich, doch du kannst gerne weiterziehen.
    Ähnlich sehe ich das mit dem Gedanken-weiterziehen lassen- es bedarf etwas Übung, doch von Mal zu Mal wird es besser. Wie du schon sagst, es sind nur Gedanken, und wenn wir ihnen den Wert, den schlimmen Wert nehmen, dann ändern sie sich auch.

    Einfach nicht alles sooo ernst nehmen, was wir denken.
    Lachen hilft übrigens, also wenn wir nicht gerade in der totalen Angst stecken, das Gehirn kann
    nämlich nicht gleichzeitig lachen und denken 🙂

    Viele Grüße,
    Helen

    • Hallo Helen,

      ja, Humor ist immer gut. Über sich selbst lachen können hilft auch in solchen Situationen weiter – zumindest mehr, als sich selbst auch noch auszuschimpfen oder zu fluchen, wie blöd man doch ist… 😉

      Bei mir ist es (gefühlt) oft so, dass ich statt Kampf- oder Fluchtmodus direkt in die Erstarrung gehe. Das ist ja „eigentlich“ die Reaktion, die man macht, wenn die anderen beiden aussichtslos erscheinen. Das kann man bei Wildtierdokus so klar beobachten.

      Du schreibst, es braucht Übung, die Gedanken weiterziehen zu lassen. Daher habe ich eine Frage dazu: „machst“ du etwas, damit sie weiterziehen? Greifst du bewusst in die Gedanken ein?

      Ich gehe nämlich noch einen Schritt weiter. Es gibt nichts zu tun, damit die Gedanken weiterziehen. Solange ich nicht an einem Gedanken festhalte (indem ich mich mit ihm beschäftige – in welcher Form auch immer), „verfliegt“ er bald wieder und der nächste taucht auf.

      Liebe Grüße
      Michaela

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