Ist Gendersprache hilfreich?

Ich verstehe es so, dass die Gendersprache eingeführt wurde, um ein Stück mehr Gleichheit und/oder Gleichberechtigung zu schaffen.

Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, wie das klappen soll, wenn wir uns alle noch mehr trennen, indem wir uns weitere Label anpappen, die auf die Unterschiede hinweisen.

Für mich sieht es so aus, als würde das mehr teilen als vereinen.

Führt das nicht noch mehr dazu, darauf zu schauen, was an dieser Person anders ist? Genau hinzuschauen: welchem Geschlecht gehört diese Person an und in welche Schublade kann ich sie packen?

Wäre es nicht besser, auf die Gemeinsamkeiten zu schauen?

Auf das, was uns alle vereint?
Auf das, wo alle Menschen gleich sind?

Wenn wir uns die Deutsche Einheit anschauen, dann gibt es sie nach über 30 Jahren immer noch nicht.
Nicht wirklich.
Nur auf dem Papier.
Aber nicht im Herzen.
Nicht IN uns.

Wäre das auch so gewesen, wenn wir nicht immer von „Ostdeutschen“ und „Westdeutschen“ gesprochen hätten?
Man weiß es nicht.

Fakt ist aber, dass uns diese Label getrennt und nicht vereint haben.

Wir sind nicht „einfach nur Deutsche“, sondern fallen in eine dieser Kategorien und trennen uns damit von den anderen.
Wie soll das zu einer Einheit führen?

Wenn ich eine Torte in viele Stücke schneide, sieht sie dann „ganzer“ aus?

Ich kann nicht sehen, wie es zu einer wirklichen Veränderung führen soll, wenn ich zwar andere Begriffe nutze – aber immer noch die gleichen Gedanken denke.

Veränderung geschieht, wenn sich meine Sicht ändert.

Wenn ich etwas neu sehe.
Wenn sich IN MIR fundamental etwas ändert.
Wenn sich meine Einstellung ändert.
Wenn ich erkenne, wo ich vorher auf dem Holzweg war.

Aber geschieht das, wenn ich Gendersprache nutze?
Für mich ist das schwer vorstellbar.

Und ist es das, was diejenigen, die sich aktuell benachteiligt fühlen, WIRKLICH wollen?
Oder möchten sie „einfach“ anerkannt werden?
So, wie sie sind.
Akzeptanz.
Toleranz.
Wertschätzung.
Gleichberechtigung.
Gleichstellung.
Gesehen werden.
Als Mensch – nicht als Geschlecht.

Wie schaffen wir es, über diese Label hinauszuschauen?

Jedem Menschen die Freiheit zu lassen, so zu sein, wie er/sie/es ist?

Geschieht das nicht eher, wenn wir weniger Label im Kopf haben?
Wenn wir den Menschen hinter all dem sehen?
Und wenn anerkennen, dass Vielfalt eine Bereicherung ist? Für jeden von uns?

Gilt das nicht generell?

Hilft es jemandem, wenn wir Schnitzel umbenennen - die Grenzen dahinter in den Köpfen aber stehen lassen, die zu den wirklichen Problemen führen?
Sind die Wörter "das Problem" oder das Verhalten und die Einstellung, die damit verbunden sind?

Ich kann zu jemandem Arschloch sagen, lächeln und die Person weiß, dass es nicht ernst gemeint ist.
Das ist zwischen den Worten zu spüren.

Du kannst einem Kind sagen: es ist alles okay, nachdem du dich gerade mit deinem Partner gezofft hast – es spürt, dass das nicht stimmt.

Wir benennen das Schnitzel um und die Person spürt, dass wir die Beurteilung, die das eigentliche Problem ist, immer noch im Kopf haben.
Wir nutzen die Gendersprache, aber die Person spürt, dass wir im Kopf immer noch ein Problem damit haben, dass sie „anders“ ist.
Anders als wir.

Wenn wir wirklich sehen könnten, wie gut und wichtig Vielfalt ist – das würde vielleicht einen Unterschied ausmachen.

By the way… wir sehen z.B. in der Landwirtschaft, dass Monokultur nicht der Bringer ist. Finden Wohngebiete langweilig, in denen alle Häuser gleich aussehen. Tragen Kleidung bestimmter Marken, um uns abzugrenzen und „besonders“ zu sein.

Aber die natürlichen Unterschiede von uns Menschen machen uns Angst?
Wir fühlen uns davon bedroht?

Wenn wir wüssten, dass uns niemand mit seinem Sein bedrohen kann, weil jeder von uns einzigartig ist – das würde vielleicht einen Unterschied ausmachen.

Hat eine Frauenquote zu einer Gleichheit in der Bezahlung geführt? Oder dazu, dass mehr Frauen in Führungspositionen sind, weil sie aus ganzem Herzen auf die Position gehörten?
Hat sich dadurch wirklich etwas verändert?

Oder hat es nur dazu geführt, dass die Spaltung noch größer wurde, weil „irgendeine Frau“ jetzt auf einen Posten kam, der nicht zu ihr passt, nur um einer Quote gerecht zu werden?

Hat sich das Frauenbild in der Gesellschaft verändert?
Mir scheint, bisher noch nicht wirklich.

Hilft dabei eine Frauenquote?
Schwer vorstellbar, wenn die Vorstellungen und Ideen über Frauen sich nicht ändern.

Diese Veränderung ist wohl nicht durch ein Label oder eine Quote herbeiführbar. 

Es bedarf einer Änderung der inneren Einstellung.
 
Und die geschieht von innen nach außen.
Im Erkennen, dass gleiche Arbeit gleich bezahlt werden sollte – unabhängig davon, wer sie ausführt.
Nicht durch eine Intervention von außen.

Aus diesen Gründen „ignoriere“ ich die Gendersprache.

Ich würde mir keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn ich Gendersternchen, Genderdoppelpunkt oder was auch immer nutzen würde.
Es hat sich herauskristallisiert, welche Schreibweise für mich persönlich besonders gut lesbar ist.

Da ich aber nicht erkennen kann, wie diese Schreibweise etwas am eigentlichen Problem ändern soll, lasse ich es.
 
Und ich hoffe, dass jeder, der hier liest, zwischen den Zeilen spürt, dass mir sein Gender egal ist. Nicht du als Person bist mir egal, aber das Label deines Geschlechts.

Ich hoffe man spürt, dass es mein Ziel oder meine Intention ist, den Menschen hinter dem Label zu sehen.
Hinter diesem und hinter all den anderen Labeln. 

Geschlecht Mensch.

Ich mag Menschen.
Unabhängig von Religion, Geschlecht, Herkunft, Lebensform,…

Ich mag auf das schauen, was für uns alle gleich ist.
Wo wir alle gleich sind.
Da gibt es so viel zu entdecken.

Und je mehr Gleichheiten wir erkennen können, desto leichter fällt es uns, jedem in seinem Sein zu lassen.

Die Vielfalt wertzuschätzen. Als Bereicherung anzuerkennen.
Uns zu freuen, wenn jemand anders glücklich und zufrieden ist. 

Ist es nicht eine Bereicherung, wie verschiedene die einzelnen Blumen sind?

Dort fällt es uns (noch) leichter, alle Schönheit willkommen zu heißen.
Jedem seine Lieblingsblume zu lassen.
Anzuerkennen, dass Blumen verschiedene Farben und Größen haben, zierlich oder groß sind, unterschiedliche Böden brauchen, Licht oder Schatten lieben, zu anderen Zeiten blühen, duften oder nicht duften, …

Dafür müssen wir keine Botaniker sein und sie bestimmten Kategorien zuordnen können.
Jeder kann die Schönheit mit eigenen Augen sehen.

Lasst uns doch die Schönheit in jedem Menschen sehen.
Die Label ablegen.
Die Schubladen ausräumen.
Die Diversität willkommen heißen.
Mit dem Herzen sprechen.

Dann braucht es keine Gendersprache mehr. 

Wie stehst du zum Thema Gendersprache? Ich freue mich auf deinen Kommentar.

  • Danke.
    Ich bin wirklich froh, daß du nicht umstellst
    auf das Gendern!
    Dich nicht da hinein drängen lässt…
    Unsere schöne Sprache wird so dermaßen
    verhunzt – und wirklich, also wirklich bringen
    tut das doch niemandem etwas.
    Liebe Grüße
    Hannelore

    • Liebe Hannelore,
      solange ich den Sinn darin nicht erkenne, werde ich nicht umstellen.
      Wenn ich den Eindruck habe, dass damit wirklich etwas verändert wird, dann bin ich gerne dabei.

      Liebe Grüße
      Michaela

      • Liebe Michaela,
        du schreibst so schön und eingerahmt:
        „Veränderung geschieht, wenn sich meine Sicht ändert“.
        Kleiner Exkurs: Ich war und bin in der Frauenbewegung engagiert, arbeite „stabilisierend und angstbewältigend“ im stetig anwachsenden! Feld der Gewalt gegen Mädchen und Frauen in unserem schönen Land. Bereits im Studium gab es die Professoren, die Studenten, Absolventen, die Ärzte……………………….. Die Frauen waren waren selbstverständlich mit gemeint – Höhöhö und tätschel, tätschel. Stell dir mal – stellt euch mal vor, nach tausend Jahren an der männlichen Form gemessen und selbstverständlich und zum Teil auch wirklich freundlich mit den Herren mitgemeint zu sein, würden nun mal – der Gerechtigkeit halber sozusagen – die Herren mitgemeint. Wir würden so was sagen wie „Wie schön, dass Sie sich entschieden haben, Ärztin zu werden Herr Meyer.“ Täten wir ja nicht, allein, weil wir uns selbst blöd dabei vorkämen, Angst hätten, uns lächerlich zu machen oder provokant zu wirken. Dreißig Jahre Arbeit an unserer schönen Sprache, mit dem Ziel Frauen ins Bewusstsein zu heben – übrigens: auch in ihr Eigenes und damit die Sicht zu verändern, haben nach dem Bohren dicker Bretter, Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt, Missbrauch von Kindern wurde verboten, haben 1977 das Familienrecht reformiert und uns 2002 das Gewaltschutzgesetz beschert. Das ist gut so, denn nur weil Frauen und Mädchen als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen, angesprochen und behandelt werden, konnte sich die Sicht auf ihre Existenz langsam ändern und ebenso langsam beantwortet werden.
        Der Prozess war unliebsam, wurde ins Lächerliche gezogen, beschimpft. Oft war es unerträglich.
        Doch hat die Beharrlichkeit was in Bewegung gebracht, doch – nur um Missverständnissen vorzubeugen – auch in Deutschland bewegt sich die Gleichberechtigung noch sehr, sehr an der Oberfläche.
        Ist es heute also neben den Umständen, die das Gendern ja tatsächlich macht, nicht eher unsere Angst vor den Veränderungen, die uns derzeit – im Kleinen wie im Großen – um die Ohren fliegen. Und nun werden wir auch noch mit diesen ganzen anderen Identitäten verstört, die sich in der Zeitenwende frechste trauen, „wie Pilze aus dem Boden zu sprießen“, um gesehen und anerkannt zu werden. Zeigt sich in unserem Widerwillen gegen das Gendern nicht viel mehr unsere Abwehr gegen das Aufstehen/Einstehen und für sich einen Platz fordern. Wo soll das denn hinführen, finden wir uns schließlich auch oft genug brav ab, mit zum Teil echt Unerträglichem. Das Leben ist kein Ponyhof… Ich schreibe übrigens so ausführlich, weil vermutlich auch für diese „anderen Menschen“ mit ihrer Weigerung, sich weiter zu verbergen, harte Jahrzehnte mit Hass, Abwertung, Gewalterfahrungen und Schlimmerem bevor stehen. Ein bisschen mitgendern bringt da tatsächlich „noch keinen Sommer“ – zeigt aber was Wichtiges. Meine Erfahrung erfüllt mich mit Verständnis und Mitgefühl und zwar in alle Richtungen. Und mit Müdigkeit, denn auch ich will manchmal einfach nur meine Ruhe haben, doch meine Sicht lässt mich nicht🤔.
        Ich danke dir und allen Mutigen, die mich trotz aller Müdigkeit inspiriert haben, mich nochmal zu besinnen….
        Alles Liebe
        von Petra aus Kassel

      • Liebe Petra,

        danke für deinen ausführlichen und emotionalen Kommentar.
        Und dafür, dass du dir trotz deiner Müdigkeit die Zeit genommen hast, deine Sicht in Worte zu fassen. 💜

        Zu einigen Punkten weiß ich gerade nicht, was ich schreiben soll – möchte den Kommentar aber auch nicht komplett unkommentiert lassen. Aber ich kann ihn ja jederzeit ergänzen.

        Ich kann nur für mich sprechen und bei mir hat das „nicht-gendern“ nichts mit einer Abwehr gegen das Aufstehen oder Einstehen zu tun. Meine Herangehensweise an diese Thematik ist eine andere.

        Liebe Grüße
        Michaela

      • Liebe Petra,
        mir kam dazu immer wieder eine Geschichte in den Sinn, die ich schon mehrfach von Michael Neill gehört habe.
        Sie ging in der Kurzfassung in etwa so:

        In einem Fluss ertranken immer wieder Menschen. Die Anwohner des Flusses waren damit beschäftigt, weitere Menschen vor dem Ertrinken zu retten.
        Leider gelang es ihnen nicht immer, aber sie bemühten sich nach Kräften. Die Helfergruppe wurde immer größer, aber auch die Menschen, die im Fluss ertranken, wurden immer mehr.
        So ging es über Wochen, bis eines Tages keine Menschen mehr vor dem Ertrinken gerettet werden mussten. Die Anwohner freuten sich darüber – wunderten sich aber auch, was passiert sei.
        Sie gingen flussaufwärts und sahen, dass den Menschen dort Schwimmen beigebracht wurde. Je mehr Menschen lernten, zu schwimmen und je sicherer sie darin wurden, desto geringer wurde die Chance, dass sie ertranken und somit mussten sie später auch nicht mehr gerettet werden.

        Das Verständnis der 3 Prinzipien lehrt uns sozusagen, wie wir schwimmen.
        Wir erkennen die Kraft, die in uns liegt.
        Wir sehen die Großartigkeit in anderen.
        Wir verstehen, warum wir reagieren, wie wir reagieren.
        Wir bekommen wieder Zugang zu unserer inneren Weisheit.
        Das führt automatisch zu einer anderen Weltsicht.
        Und diese neue Weltsicht bringt auch Änderungen im außen mit sich, ohne dass ich mich dafür auf spezielle Themen fokussieren müsste.

        Ich weiß nicht, ob du damit etwas anfangen kannst, aber das kam mir noch als Ergänzung in den Sinn.

        Liebe Grüße
        Michaela

      • Liebe Petra, ich freue mich, dass du dich so ausführlich darüber geäußert hast. Das hätte ich kaum besser beschreiben können 😉
        Bin mit einer sehr in der Frauenbewegung engagierten Mutter aufgewachsen und finde es auch richtig und wichtig, deutliche Zeichen zu setzen, auch durch Gendern. Für mich darf das jede:r so machen, wie es sich leicht und authentisch anfühlt. Natürlich geht es nicht wirklich um die Worte und das alleine wird auch nichts verändern, aber eine gewisse Aufmerksamkeit, einen Fokus setzen, das zeigt, dass sich in den Köpfen etwas verändern darf. Durch die Erkenntnisse der 3 Ps, die für mich in mancher Hinsicht noch neu sind, weiß ich doch, spüre ich es, was für mich stimmig ist. Ich mag Gendern jedenfalls und sehe darin eine Chance. Ich fühle mich jedenfalls dabei wohl, auch, wenn z.B. Leute im TV das sehr unaufgeregt benutzen…Also alles entspannt ist doch am besten. Ganz liebe Grüße an dich, Katja 🙂

  • Ich freue mich, dass du ähnlich wie ich denkst und handelst. Und ich glaube fest daran, dass wir alle unsere festgefahrenen Ansichten ändern können und dann würden wir alle Menschen mit gleichen Wünschen und Träumen und mit gleichen Unsicherheiten und Ängsten sehen.
    Danke sehr für diesen hilfreichen Blog liebe Michaela.

    • Danke, liebe Romy.
      Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich auch die eingefahrensten Ansichten direkt ändern können, wenn wir etwas neu sehen.
      Was wäre alles möglich, wenn wir die ganzen Ähnlichkeiten in anderen Menschen erkennen könnten? Ich freue mich darauf, das mizuerleben. 💜

      Liebe Grüße
      Michaela

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