Ich an deiner Stelle ...

Wenn ich an deiner Stelle wäre, dann …
Wenn ich du wäre dann, …
In deiner Situation würde ich …
An seiner/ihrer Stelle würde ich …

Hast du einen dieser Sätze schon mal gehört?

Oder selbst zu jemandem gesagt?
Oder über jemanden gedacht?

Was wir dabei so leicht übersehen oder vergessen, ist:

Alles, was danach folgt, ist eine Geschichte.

Der Blick in die Glaskugel.
Ausgedacht.
Komplett sinnfrei.

Denn niemand kann jemals an meiner Stelle sein.

Oder in deiner Situation.
Niemand.
Nie.
Das ist schlichtweg unmöglich.
Es wird nicht passieren.

In deiner Situation zu sein, würde bedeuten, die Welt durch deine Augen zu sehen.

Durch deine Filter.
Deine Emotionen zu spüren.
Deine Gedanken zu haben.

Das alles hat einen Einfluss darauf, wie du handelst.
Welche Entscheidung du trifft. Oder nicht triffst.
Was du sagst oder nicht sagst.
Was sich für dich richtig anfühlt.

Und danach gehen wir IMMER.
Jeder von uns.

Was sich JETZT stimmig anfühlt.
In diesem Augenblick.
Mit den Gedanken, die ich in diesem Moment wahrnehme.

… und all das kann mit einem Wimpernschlag ändern.

Je klarer mir das ist, desto klarer wird mir auch:
Ich kann NIE in der Situation von jemand anderem sein.
Ich kann NIE jemand anders sein.
Ich kann NIE wissen, was ich machen würde, wenn ich … wäre.
Das ist schlicht unmöglich.

Ich bin nicht die andere Person.

Alles, was ich mir vorstelle, was ich machen würde, wenn … ist reine Fantasie.

Und dennoch fühlt es sich so oft so echt an.

Klar wüsste ich, was ich machen würde, käme ich in diese Lage.
Klar wüsste ich, was für die andere Person jetzt richtig wäre.

Nein, weiß ich nicht.
Denn ich KANN es nicht wissen.

Ich erzähle mir nur eine Geschichte, die ich mir in diesem Moment ausdenke.
Ein Märchen.
Und erkenne nicht, dass gerade Märchenstunde ist

Ich kann immer nur wissen, was für mich in diesem Moment richtig ist.

Und auch da kann ich nicht voraussagen, wie ich auf die gleiche Situation in 2 Minuten oder morgen oder in einer Woche oder in 2 Jahren reagieren würde.
Das weiß ich IN der Situation.
Keinen Augenblick vorher.

Was bedeutet das?

Wenn mir jemand sagt, was er an meiner Stelle machen würde, dann muss ich das nicht ernst nehmen.
Es ist „nur“ seine Geschichte.
Nicht mehr und nicht weniger.

Es ist nichts, was ich persönlich nehmen muss.
Keine Anweisung, was für mich richtig/wichtig wäre.
Null Wahrheitsgehalt.

Es kann NIE eintreffen, dass jemand in meiner Situation sein wird.
Das bleibt ausschließlich mir vorbehalten.
Und es gibt niemanden, der besser weiß, was für mich richtig ist, als ich selbst.
Tief in mir drinnen.

Sobald ich merke, dass ich etwas wie „ich in deiner Situation …“ sage oder denke, darf ich mittendrin stoppen.
Weil mir bewusst wird, wie unmöglich das ist.
Dass ich NIE in die Situation kommen KANN, in der jemand anders gerade ist.

Von außen betrachtet ähnlich, ja.
Aber das, worauf es ankommt, ist so persönlich und individuell - das geht einfach nicht. 

Ich lade dich ein, zu reflektieren:

Wie oft sagst/denkst du gewohnheitsmäßig etwas in dieser Art? „Ich an deiner Stelle …“

Was wäre, wenn all das, was du „weißt“, was du tun würdest, gar nicht wahr wäre?

Vielleicht fällt es dir beim nächsten Mal auf.
Und dann kannst du entscheiden: möchte ich mir jetzt ein Märchen erzählen oder nicht?

Wie fühlt es sich für dich an, wenn jemand zu dir sagt: wäre ich du, dann würde ich …
Wie viel Bedeutung hast du dem bisher gegeben? Wie viel Bedeutung möchtest du dem ab jetzt geben?

Was ist dir beim Lesen und Reflektieren aufgefallen?

Hast du dich mit „wenn ich du wäre-Gedanken“ ertappt?

Falls ja – dann ist nicht schlimm, sondern gut. Es ist an die Oberfläche gekommen und du bist bewusster geworden.

Vermutlich wirst du ab jetzt häufiger bemerken, wenn du es gewohnheitsmäßig sagen willst oder es von einer anderen Person hörst.
Und kannst dich bewusst entscheiden, wie du damit umgehst.

Schreib mir doch im Kommentar, was du für dich erkannt hast.

  • Hallo Michaela, zu allererst lieben Dank für deine vielen Denkanstöße. Ich nehme wirklich viel, mit auch wenn ich noch nicht so genau weiß, wohin meine persönliche Reise geht. Zumindest durch deine Anregungen einmal öfter raus aus dem Gedankenkarussell. Gerade frage ich mich, was sage ich dann wohl demnächst, wenn ich in einem Gespräch ausdrücken möchte, dass ich meine, mich in die Situation eines anderen hineinversetzen zu können… eigentlich möchte ich empathisch sein… einen Rat geben, jemandem der im Moment vielleicht nicht auf das naheliegenste kommt, der den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht eine Möglichkeit zeigen, die ich vielleicht von außen sehe. Ob dieser jemand dann daraus einen Nutzen zieht? Doch, denke ab und an ja, vielleicht nur anders formulieren… aber wie, daran hänge ich gerade…

    Schönes Wochenende und viel Erfolg beim Kongress
    Herzliche Grüße
    Anja Kairies

    • Hallo Anja,
      wie schön, dass du etwas mitnimmst. Und dass du nicht weiß, wohin die Reise geht (oder gehen soll) ist doch super. Damit bist du offen für alles, was kommt.

      Was wäre, wenn du JETZT überhaupt nicht wissen musst, was du demnächst in einem Gespräch sagst?
      Aber darauf vertrauen kannst, dass du es in der Situation weißt.

      Wenn jemand einen Rat möchte, kann man ja jederzeit sagen, was einem in den Kopf kommt.
      Für mich sieht es so aus, als … oder kann es sein, dass …. oder wie wäre es, wenn …

      Für mich sieht es so aus, als wären wir automagisch empathisch, wenn wir präsent sind und zuhören. Das Gegenüber fühlt sich gesehen und gehört.

      Ich glaube, je klarer dir ist, dass es unmöglich ist, in der Situation von jemand anderem zu sein und je weniger du drüber nachdenkst, was du sagen solltest, desto leichter fällt es dir, die „richtigen Worte“ zu finden. Oder die Worte finden dich.

      Liebe Grüße
      Michaela

      P.S. danke für die lieben Wünsche zur 3P DACH-Konferenz

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