Hilfsbereit oder Helfersyndrom?

Neulich hatte ich eine Email in meinem Postfach, in der sich eine Kollegin aufgrund einer Erkrankung erst einmal auf unbestimmte Zeit aus ihrem Business abgemeldet hat.

Was besonders in mir nachhallte, war ein Satz, der in diese Richtung ging: wenn du aus dem Gesundheitsbereich kommst, dann schick mir bitte keine Tipps und/oder Links. Ich bin auf allen Ebenen gut versorgt.

Und ich dachte: Ist es nicht irgendwie schräg, dass man das dazuschreiben “muss”, wenn man keine Flut von Emails mit ungefragten Tipps bekommen möchte?

Ich habe mich total darin erkannt und ertappt gefühlt.
Früher wären mir sofort x Links eingefallen, die ich ihr schicken könnte - zusammen mit Tipps, Übungen, Buchempfehlungen usw.

Vielleicht wäre ich sogar verschnupft gewesen über ihren Satz.
Hätte nicht verstanden, warum sie denn keine Hilfe möchte.

Jetzt kam mir der Satz “Ratschläge sind auch Schläge” in den Sinn.

Und ich frage mich:
Wo ist die Grenze zwischen hilfsbereit und Helfersyndrom?
Ist das in anderen Branchen auch so oder ist das ein typisches “Coach-oder Heiler-Phänomen”?

Warum “muss” ich meine Tipps denn so dringend loswerden?

Ich kann für mich sagen, dass ich dachte, ich hätte wichtige Informationen, die der Person jetzt weiterhelfen könnten und die sie noch nicht kennt oder hat.
 
Zum Beispiel Übungen, die ich im Laufe der Jahre gelernt habe (EFT bzw. Klopfen, Quantenheilung, …) oder Wissen aus meiner META-Health-Ausbildung, denn das ist eine völlig andere Sicht auf Erkrankungen oder die Entstehung von Krankheiten an sich.

Wenn ich tiefer hinschaue, dann war es meine Hilflosigkeit oder Ohnmacht, die mich dazu “inspiriert” hat.

Ich höre etwas “Schlimmes”, habe das Gefühl, etwas tun zu müssen (wann auch immer ich mir das antrainiert habe …)
Das fühlt sich nicht gut an.
Ich muss doch helfen können. Aber wie?
Ich spüre eine Ohnmacht oder Hilflosigkeit. Die fühlt sich auch nicht gut an, sondern seeehr unangenehm.

Damit ich dieses Gefühl nicht aushalten muss - zumindest keine Sekunde länger als “nötig” - überlege ich mir, wie und ob ich nicht vielleicht doch helfen kann. (das lief alles automatisch ab und war mir zu der Zeit nicht bewusst)

Und siehe da - schon habe ich Tipps, Buchvorschläge, Links, … was auch immer.
Puh!
Schon ist das ohnmächtige Gefühl viel kleiner geworden oder ganz verschwunden.
Ich kann ja doch helfen.
Und wieder durchatmen.

Dabei bemerke ich nicht, dass ich mein Gegenüber vielleicht mit den ganzen ungefragt gegebenen Tipps und Ratschlägen überwältige.

Mir fällt nicht auf, dass derjenige vielleicht überhaupt keinen Tipp wollte, sondern mir einfach nur etwas mitteilen.
 
Dass ich ihm ungefragt etwas liefere, was er gar nicht bestellt hat.

Dass alles, was er “gebraucht” hätte, mein offenes Ohr gewesen wäre. 

Das konnte ich ihm aber gar nicht leihen, weil ich ja mit mir und dem “helfen-wollen” beschäftigt war.
Wie soll ich da noch jemand anderem zuhören, wenn ich so in meinen eigenen Gedanken versunken bin?

Und dann habe ich oft noch auf ein DANKE gewartet. Hey, schließlich waren das echt gute Tipps und wenn er sie beachtet, dann …
Das DANKE ist quasi die “Bezahlung” für meine schnelle Lieferung … 🙈

Wenn ich das jetzt schreibe, dann ist das schon echt schräg.

Aber so war es für mich früher.
Und ich fand das total normal.
Und … sehr aufmerksam. Irgendwie.

Und heute?
Da folge ich Impulsen.
So oft und gut es geht. 😉
Bin präsent mit der Situation.
Und mache dann, was sich richtig anfühlt.

Nichts, was ich mir bewusst überlege.
Wo ich abwägen muss: ist das richtig oder besser dies hier?
Ohne über etwas zu brüten.

Ich bin präsent.

Entweder es kommt ein Impuls und ich folge ihm.
Oder nicht.
Beides ist okay.

Mir ist klar, dass jeder Mensch ein inneres Wissen hat.
Zugang zu Weisheit.

Und dass diese eigenen Impulse so unendlich viel hilfreicher sind wie jeder Tipp, der von außen kommt.
Unabhängig davon, wie gut gemeint er auch sein mag.

Jeder von uns hat sein persönliches GPS.
Das sekündlich neu “berechnet” wird, sodass immer nur Impulse aufkommen, die für JETZT gelten.
Für diesen Moment.

Jeden Augenblick neu.

Und ich bin so froh, dass die Kollegin genau weiß, was ihr guttut.
Und was nicht.
Dass sie auf das hört, was für sie stimmig ist.
Dass sie ihren Weg geht und sich von ihrer inneren Stimme leiten lässt.
Das KANN nur richtig sein

Darf ich denn jetzt keine Tipps oder Hilfestellungen mehr geben?

Muss es denn ungefragt sein? 😉
Ich gehe ja auch nicht einfach in ein anderes Haus, sondern ich klingele zuerst.

Wie wäre es, die Person vorher zu fragen, ob sie Lust darauf hat? Mir kommt gerade etwas in den Sinn, was dir vielleicht helfen könnte. Möchtest du es hören?

Oder direkt zu sagen: wenn du Unterstützung oder Tipps brauchst, melde dich. Ich bin für dich da.

Dann kann die Person frei entscheiden.

Ich habe dabei nämlich oft vergessen, dass ich selbst gar nicht so heiß auf Tipps war.
Bevor ich etwas öffentlich gemacht habe, war für mich in 99 % der Fälle schon klar, in welche Richtung es für mich geht, was ich tun werde und was nicht.

Viele Tipps hatte ich zuvor schon (erfolglos) ausprobiert und es fühlte sich so an, als müsste ich jetzt auch noch erklären, dass ich das schon kenne, es nicht mein Ding war usw.
Ich fühlte mich noch mehr “falsch” und “kaputt”.
Und die Energie und Lust, mich damit auseinanderzusetzen, hatte ich oft gar nicht, aber ich wollte auch nicht undankbar sein …

Wie wäre es also, bevor ich direkt einen Tipp raushaue, erst einmal kurz innezuhalten? 

Zu spüren.
Was ist jetzt dran?
Welchen Impuls nehme ich wahr?

“Muss” ich jetzt helfen? Ist da ein Drang?
Wenn ja - kann ich das Gefühl “einfach aushalten”? Ohne etwas zu tun? Auch, wenn es unangenehm ist?
Wenn ich es in Ruhe lasse, geht es von alleine wieder.
Schneller, als ich glaube.

Was wäre, wenn die größte Hilfe oftmals ist, einfach “da” zu sein?

Mein Bruder hatte vor vielen Jahren einen Motorradunfall und sagte, dass es ihm so gutgetan und geholfen hat, dass eine Ersthelferin einfach seine Hand gehalten und mit ihm geredet hat.

Vielleicht hat es sich für sie angefühlt, als könnte sie “nichts tun” und sie hatte keine Ahnung, wie wertvoll ihre Geste für ihn war …

Und das Gute ist: da-sein kann jeder.

Wenn du dich mit dem Helfersyndrom ertappt fühlst, dann ist freu dich drüber.
Bei der nächsten Situation fällt es dir vielleicht früher auf und du kannst anders als bisher reagieren.
Das ist Veränderung von innen.

Was hast du für dich mitgenommen?
Ich freue mich auf deinen Kommentar.

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