Wo steckt die Superkraft im Bemerken?

In einem meiner Trainings mit Michael Neill fiel der Satz: Noticing is the superpower”.

Ich merkte, dass da was dran ist, aber … so wirklich konnte ich nicht verstehen, was daran so toll sein sollte.
Warum ist es hilfreich, mich zu dabei zu ertappen, wie ich Dinge mache, die ich gar nicht machen will?
Das ist doch gar nicht mein Ziel!
Mein Ziel ist es, dass ich diese Sachen gar nicht erst mache.
Da möchte ich hin.
Direkt zur Veränderung.
Und mich nicht damit aufhalten, Dinge vielleicht sogar noch toll finden zu sollen, die mir gegen den Strich gehen ...

Wie soll mir das weiterhelfen?

Ähnliche Gedanken gingen mir durch den Kopf.
Ich war verwirrt.
Es machte keinen Sinn.
Ich konnte nicht verstehen, was sooooo toll daran sein soll, etwas zu bemerken.

Heute empfinde ich es anders.
Und bin total dankbar für jedes Muster, das mir auffällt.
Für jede „unerwünschte“ Handlung.

Zumindest nach einer „Schrecksekunde“. 😉
Im ersten Moment kommt gewohnheitsmäßig manchmal noch: oh man … was soll das denn? Was mache ich hier? bis mir dann klar wird: super, dass es mir aufgefallen ist.

Warum es so wertvoll ist, macht ein Beispiel vielleicht klarer.

Variante 1 - unbewusst
Nehmen wir an, ich möchte weniger Chips essen.
Und trotzdem hole ich mir regelmäßig die Chipstüte aus dem Schrank, greife rein und *schwups* ist sie fast leer.
Hinterher ärgere ich mich über mich selbst, bin wütend, dass ich keine Disziplin habe, usw.

Vielleicht fällt dir gerade eine ähnliche Situation ein, bei der es dir auch so geht.

Variante 2 - mit Bemerken
Nehmen wir an, ich möchte weniger Chips essen.
Und trotzdem hole ich mir regelmäßig die Chipstüte aus dem Schrank, greife rein, esse einige davon … und plötzlich fällt mir auf, dass ich etwas mache, was ich „eigentlich“ gar nicht machen möchte.

Das ist der Moment, in dem ich mich entscheiden kann: esse ich weiter oder höre ich auf?
Wie immer gibt es kein richtig oder falsch, nur eine Entscheidung im Augenblick.

Höre ich auf zu essen, ärgere ich mich vielleicht darüber, dass mir das nicht früher aufgefallen ist, dass ich überhaupt Chips gekauft habe, etc.
Vielleicht bin ich auch einfach dankbar dafür, dass es mir bewusst wurde, bevor die Tüte leer ist und dass ich aufgehört habe.

Esse ich weiter, dann ärgere ich mich vielleicht hinterher über mich selbst, bin wütend, dass ich keine Disziplin habe, usw.
Oder ich habe sie mit Genuss gegessen und bin total okay damit.

So oder so - es ist anders.
Erkennst du den Unterschied?

Wäre mir nicht bewusst geworden, dass ich (mal wieder) mit der Hand in der Tüte Chips stecke, hätte ich gar nicht wirklich entscheiden können, aufzuhören.
Es lief ja unbewusst oder automatisch ab.
Unter meinem Radar.
Unsichtbar für mich - obwohl es offensichtlich ist.

Darum ist es so hilfreich, wenn uns etwas auffällt.
Damit bekommen wir „unsere Macht“ zurück.
Wir können bewusst eingreifen.
Mit Klarheit.
Aus einem Muster ausbrechen.
Ohne uns mit dem inneren Schweinehund befassen zu müssen.

Ein anderes Beispiel.

Variante 1 - unbewusst
Nehmen wir an, ich bekomme immer mal wieder Kopfschmerzen.

Für mich kommen sie total unerwartet und nicht planbar. Es scheint weder am Essen noch am Wetter zu liegen und ich sehe keinen roten Faden.
Ich möchte gar nicht nach einem Auslöser suchen, hätte aber auch nichts dagegen, wenn sie weniger oft da wären.

Variante 2 - mit Bemerken
Nehmen wir an, ich bekomme immer mal wieder Kopfschmerzen.

Für mich kommen sie total unerwartet und nicht planbar. Es scheint weder am Essen noch am Wetter zu liegen und auf einmal bemerke ich: Moment mal … war nicht vorher der Gedanke da: mach ne Pause?
Ich bin mir ganz sicher. Stimmt … es kam der Impuls, eine Pause zu machen, aber ich hatte so viel Dinge zu erledigen, dass ich weitergemacht habe. Interessant.

Einige Zeit später wird mir wieder der Gedanke „mach ne Pause“ bewusst und ich denk noch, das wäre ne gute Idee, aber ich mach nur noch eben diese Sachen fertig.
Dann merke ich, dass sich Kopfschmerzen ankündigen. Und erinnere mich wieder an den Gedanken „mach ne Pause“.

Jetzt habe ich wieder die Wahl: entscheide ich mich für eine Pause? Oder dafür, den Gedanken zu ignorieren?
Dieses Mal entscheide ich mich, dass ich diese Sache noch fertig mache. So lange dauert es ja nicht.
Dann vergesse ich, dass ich eine Pause machen wollte und mache weiter … bis die Kopfschmerzen einsetzen und mich erinnern. Mist … da war was.

Hinterher kann ich mich ärgern, dass ich nicht darauf gehört habe, obwohl ich es besser wusste. Oder ich gönne mir „einfach“ Ruhe.

Variante 3
Nehmen wir an, ich bekomme immer mal wieder Kopfschmerzen.

Für mich kommen sie nicht mehr so unerwartet, denn ich habe ein Muster erkannt, wann sie auftreten. Ich jongliere gerade meine Aufgaben und bemerke den Gedanken: mach ne Pause.

Jetzt habe ich wieder die Wahl: entscheide ich mich für eine Pause? Oder mache ich weiter, bis zumindest Aufgabe eins erledigt ist?
Dieses Mal entscheide ich mich dafür, eine Pause zu machen und mir einen Moment Ruhe zu gönnen.
Es muss gar nicht lange sein. Manchmal reichen schon 10 Minuten. (oder weniger)

Hinterher freue ich mich, dass ich auf meinen Körper gehört habe und kann die Pause auch genießen. Einfach, weil ich weiß, dass sie nötig ist und mir gut tut. Dass es gerade nichts anderes gibt, was wichtiger ist. 

Später fällt mir auf, dass ich schon länger keine Kopfschmerzen mehr hatte.

Bemerken war der Schlüssel zu mehr Wohlbefinden.

Hätte ich nicht bemerkt, dass es Zeit für eine Pause ist, hätte ich sie vermutlich nicht genommen und mich über die Kopfschmerzen gewundert oder beklagt - wie bisher auch.

Ein ganz anderes Beispiel.

Ich bin gerade in einem Programm, in dem wöchentlich ein Training freigeschaltet wird, zu dem 3-4 Live-Calls pro Woche gehören, zu jedem Modul gibt es ein Worksheet, das aufgrund der Größe eher ein Workbook ist, dann noch das ganze Bonusmaterial, …
Es ist intensiv. Sehr intensiv.

Heute habe ich bemerkt, dass ich rumeiere, anstatt „einfach“ mit dem Training loszulegen.
Ich hatte es - neben anderen Dingen - in den Kalender eingetragen und wollte es gerade weiter nach hinten verschieben und erst etwas anderes erledigen, als es mir auffiel.
Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich mich davor drücke.
Ich wollte das Training durcharbeiten - und wollte es doch nicht. Zumindest habe ich immer andere Sachen gefunden, die ich noch vorher machen kann.

Wäre es mir nicht aufgefallen, hätte ich es weiter verschoben und andere Aufgaben erledigt.
Langweilig wäre mir nicht geworden.
Wäre ich faul gewesen? Nein.
Hätte ich das gemacht, was dran ist? Auch nein.

Mir wurde auch bewusst, warum ich es aufgeschoben habe.
Ähnliche Übungen wie im letzten Modul hatte ich schon x-Mal gemacht und einfach keine Lust mehr darauf.
Mein Kopf war bei: kenne ich schon. Done that. Been there. Nicht schon wieder.

Höre ich nicht darauf, sondern „arbeite einfach das Modul durch“, dann sehe ich auch, dass diese Übung anders ist, die Fragen sind nicht identisch und ich bin heute nicht mehr die Person, die ich beim letzten Mal war.

Mir wurde klar, dass mir noch eine - aus meiner Sicht wichtige - Antwort aus dem letzten Modul fehlt, die aber einfach „noch nicht da“ ist.
Und sofort erzählt mir der Kopf, dass ich dann auch gar nicht weitermachen brauche, denn schließlich baut dieses Modul auf das vorige auf, was bedeutet … blablabla …

Und - wie immer - hört sich die Geschichte soooo wahr an.
Logisch.
Nachvollziehbar.

Darum ist es auch so leicht, sie nicht als Geschichte zu erkennen und ihr auf den Leim zu gehen.

Wäre es mir nicht aufgefallen, dann hätte ich den Termin verschoben. Vielleicht mehrfach. Den Kurs nicht durchgearbeitet.

Und mir dann erzählt, dass es „einfach nicht zu schaffen war“, gerade „zu viel los“ ist, „das Programm wirklich zu viel Inhalte hat“, …
Und alles wäre plausibel gewesen.
Aber nicht „die Wahrheit.“

Jetzt sehe ich die Geschichte, die mir mein Kopf erzählt. Und muss ihr nicht glauben, sondern kann mich „einfach“ um die Aufgaben kümmern.

Die Superpower liegt im Bemerken.
Und in der Entscheidung, die dadurch erst möglich ist.
Wie möchte ich weitermachen?

Gäbe es hier Schritte, dann wäre ein erster oder wichtiger Schritt, etwas zu bemerken.
Erst danach kann ich bewusst eingreifen.
Erst dann ist eine Veränderung möglich.

Total logisch - wie sollen wir auch etwas ändern, wenn uns (in dem Moment) gar nicht klar ist, dass wir es tun?

Wann immer du dich also dabei erwischst, mit der Hand in der Chipstüte zu stecken oder etwas zu tun, was du „eigentlich“ nicht willst - sei bitte freundlich zu dir.

Wie würdest du mit dir umgehen, wenn klar wäre, dass das ein Schritt in Richtung Veränderung ist?
Wie würdest du dann darauf schauen, dass dir etwas auffällt?
Kannst du erkennen, dass die Superkraft im Bemerken steckt?
Ich freue mich auf deinen Kommentar.

  • Super Erinnerung und so spannend. Mir wurde einmal mehr klar, dass das Erkennen im Moment die Powerkraft ist, die mir immer öfter zur Verfügung steht. Großartiges Geschenk. Das Gefühl der Ohnmacht/ des Ausgeliefertseins zerfällt. Und ein Lächeln huscht über mein Gesicht während ich dies schreibe und ich genieße gerade das Gefühl das ich fühle. Danke liebe Michaela für dein Wirken.
    GLG Regina

    • Liebe Regina,
      jippie. Genau das wollte ich mit diesem Beitrag erreichen.
      Soooo schön zu lesen, wie das Bemerken direkt zu einer Veränderung in dir führt und das Gefühl von Ohnmacht „einfach“ abfällt. ❤️
      Danke fürs teilen.

      Liebe Grüße
      Michaela

  • Super reminder. Ich beschäftige mich mit diesem Thema sehr viel im Moment. Es sind selten die großen Entscheidungen, die wir denken, treffen zu müssen. Es sind meist kleine, momentane Korrekturen, die wir nur vornehmen können, wenn wir ‚Bemerken‘. Wie viele von unseren täglichen Gewohnheiten treiben vollkommen unbemerkt ihr Unwesen. Was für ein Riesen Unterschied es macht, zu merken, was gerade abgeht, oder? Ich bin immer wieder hin und weg, wie viel mehr es da zu entdecken gibt. Spannend!

    • Oh ja, wirklich spannend. Immer wieder neu. 🙂 Ich staune auch immer wieder, was es alles zu entdecken gibt.
      Wir übersehen so leicht (oder ahnen nicht einmal), wie hilfreich es ist, bei diesem ganzen „Kleinkram“ anders zu reagieren.

      Bei deiner Beschreibung kam mir gerade das Bild, wie die Gewohnheiten quasi wie Geister ihr Unwesen treiben und wir sie nicht sehen können. Das wäre ein schönes Kinderbuch. 😉

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